Vertreter sinfonischer Jugendblasorchester aus ganz Deutschland waren am 15./16. Oktober nach Bad Lausick gekommen. Das Netzwerk Sinfonische Jugendblasorchester hatte zum „Zweiten Blasorchester Symposion“ in die Deutsche Bläserakademie eingeladen. Veranstalter waren die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) und die WASBE Deutschland, die gemeinsam das Netzwerk verantworten, und die Deutsche Bläserakademie als dessen neuer Kompetenzpartner. In Fachvorträgen, Workshops und der Präsentation neuer Kompositionen erhielten die Teilnehmer wertvolle Impulse für ihre Arbeit.
Zweites Blasorchester Symposion, 15./16.10.2011
Deutscher Orchesterklang – Kulturgut fürs Patentamt
Stefan Fritzen, Gründer der Mannheimer Bläserphilharmonie und ehemals Soloposaunist des Berliner Sinfonieorchesters sprach in seinem Vortrag zum Thema „Der deutsche Orchesterklang“. Was hat man sich darunter vorzustellen? „Dieser Klang ist dunkel, trotzdem schlank, und ungeheuer farbenreich, samtig weich, beinahe ein wenig parfümiert, voll Glanz und Leidenschaftlichkeit“, so Fritzen „eigentlich sollte man ihn patentieren lassen.“ Fritzen führte aus, wie der Klang historisch gewachsen ist. In der Kleinstaaterei in Deutschland bis Ende des 19. Jahrhunderts unterhielt jeder Fürst eine eigene Hofkapelle. In der Folge entwickelte sich eine enorme musikalische Vielfalt und ein reger internationalen Austausch erstklassiger Musiker. Der deutsche Orchesterklang, geprägt in diesem geographischen und musikalischen Meltingpot, verbinde französische Eleganz mit der Leichtigkeit Italiens, slawisches Temperament mit Einflüssen aus England. Mit einer solchen Beschreibung, reflektierte Fritzen, gerate man schnell in den Verdacht der Tendenziösität. Vielleicht infolge dessen beobachte er unter deutschen Ensembles eine Scheu, diesen Klang zu pflegen und die bedauerliche Entwicklung, den dunkel gefärbten Klang gegen eine weit weniger differenzierte helle Brillanz zu ersetzen.
Wie das Empfinden junger Musiker für eine hohe Klangkultur geweckt und geschult werden kann, war in einer sich anschließenden Orchesterprobe zu erleben. Konsequent und mit ansteckender Leidenschaft feilte Fritzen mit seinem gut motivierten Orchester, der Dresdner Stadtkapelle, an jedem Akkord, jedem Takt, jeder Phrase. Wer klingt wann zu hoch, zu tief, zu laut, zu leise? Registerdivergenzen wurden ausgleichen und aus der Partitur „Knackpunkte“ herausgelesen und geprobt. Fritzen zeigte, dass scheinbar simple Tricks eine enorme Wirkung erzielen. So wird etwa ein Orchestermusiker bei einem Crescendo in der Tendenz nicht nur lauter sondern zugleich auch höher spielen – „das Prinzip der Mannheimer Rakete“. Da gilt es gegenzusteuern. Im Laufe seiner Probenarbeit en detail entwickelte er mit dem Orchester hörbar ein farbenreichen, schwingenden Klang.
Dirigent – Zuhörer und Farbenmischer
„Der Dirigent im Jugendblasorchester“ lautete der Titel des Vortrags von Walter Ratzek, Leiter des Musikkorps der Bundeswehr und Gastdirigent nationaler wie internationaler renommierter Jugend- und Profi-Orchester. Er ermutigte die Jugendorchesterleiter zu einem individuellen Stil. Wenn am Ende das Klangerlebnis und die Interpretation herauskämen, die der Dirigent sich vorgestellt habe, dann sei beim Dirigat grundsätzlich alles möglich. Hilfreich sei die Vorstellung, das Orchester als ein Instrument zu begreifen. Ein solches „Orchesterinstrument“ zu formen, erfordere jedoch, dass die Musiker einander zuhörten. „Lassen Sie ihrem Orchester Zeit, sich aufeinander einzustimmen“, so Ratzek. Lebendig werde Musik in dem Moment, wo es gelingt, den Klang verschiedener Instrumentengruppen durch eine präzise Abstimmung miteinander zu verschmelzen. Etwa zu dem eines „Flaxophon“, bei dem die Saxophone für die Lautstärke sorgen, während die Flöten die Klangfarbe malen.
Im anschließenden Workshop standen die Teilnehmer selbst am Dirigentenpult. Sensibel gab Ratzek den Jugendorchesterleitern Hinweise und Anregungen, ihr Dirigat weiter zu optimieren. Experimentiert wurde auch mit einem Schuss Humor. Denn ein Orchester lässt sich mit dem Handgelenk, den Armen oder dem gesamten Oberkörper leiten. Die Übertreibung war gleichermaßen unterhaltsam und aufschlussreich.
Konzert – Brillante Kontraste
Bläserklang vom Feinsten erlebten die Symposionsteilnehmer am Abend im Konzert der Sächsischen Bläserphilharmonie. Unter Leitung von Chefdirigent Thomas Clamor präsentierte das Orchester ein kontrastreiches musikalisches Programm. Im ersten Teil erklangen ein Werk von Thiemo Kraas, der während des Symposions als Composer in Residence anwesend war, und Kompositionen von Studenten der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, dirigiert ebenfalls von Studienkollegen – Ergebnisse eines neuen Projekts der Deutschen Bläserakademie. Der zweiten Teil des Abends war klassischen und zeitgenössischen Bearbeitungen evangelischer Choräle gewidmet. Diese spannungsreiche Gegenüberstellung machte die klangliche Vielfalt sinfonischer Blasorchester hörbar und sondern zeigte darüber hinaus deren besondere historische und musikalische Tradition, die ein anspruchsvolles und reiches Repertoire begründet. Für ihren ausgewogenen, klaren Klang, ihre technische Brillanz und eine Interpretation frei von Pathos wurden Musiker und Dirigent vom Publikum begeistert gefeiert.
Repertoireumschau – Fundgrube für Stückesucher
Am zweiten Symposionstag stand zunächst eine Repertoire-Umschau auf dem Programm. Leon Bly, lange Jahre Fachbereichsleiter Bläser an der Stuttgarter Musikschule und bis vor kurzem WASBE-Präsident, präsentierte eine breitgefächerte Auswahl an Stücken. Er gab einen Überblick über Werke verschiedener Jahrhunderte und Länder. Neben dem angloamerikansichen Raum, traditionell Heimat der sinfonischen Bläsermusik, waren auch Kompositionen aus „exotischeren“ Ländern wie Finnland, Irland oder Brasilien dabei. Auch im Bereich der Neuen Musik gebe es eine Vielzahl spannender Werke zu entdecken, so Bly. Nach seiner Erfahrung ließen sich Jugendliche leicht dafür begeistern. Die Herausforderung liege eher auf Seite des Dirigenten, die passenden Werke auszuwählen und die Partitur zu studieren. Dies unterstützte auch Komponist Thiemo Kraas. Er wurde im Rahmen der Repertoire-Session in einem Portrait vorgestellt. „Ein Stück muss nicht schwer sein um viel Inhalt zu bieten.“ Kraas selbst arbeitet jede Woche mit einem Jugendorchester. Im Gespräch mit Alexander Beer, dem Fachberater des Netzwerks Sinfonische Jugendblasorchester, beschrieb er seine kompositorische Arbeit als einen Entwicklungsprozess, inspiriert und unmittelbar rückgebunden an die Arbeit mit jungen Musikern.
Zum Abschluss des Symposions berichtete Thomas Clamor über seine Arbeit mit dem Venezuelan Brass Ensemble und das Engagement von Musikern der Sächsischen Bläserphilharmonie für das venezolanische Jugendorchestersystem „El sistema“. In den 1970er Jahren von José Antonio Abreu gegründet, hat das Projekt mittlerweile die gesamte venezolanische Gesellschaft erfasst: Über 300.000 Kinder und Jugendliche musizieren hier in Orchestern. Der eindrückliche und bewegende Bericht Clamors eröffnete zum Abschluss des Symposions eine größere Perspektive. Denn während in der musikpädagogischen Arbeit in Europa häufig das Streben nach Perfektion im Mittelpunkt steht, bedeutet Musik doch vor allem anderen: Gemeinschaft. In einem Orchester zu musizieren schenkt Lebensfreude und –mut und gibt Kindern und Jugendlichen eine Lebensperspektive.
Ein überaus gelungenes Symposion – tolle Workshops, Vorträge und Gespräche! Nicht zu vergessen das hervorragende Konzert!
Klaus Härtel,
Chefredakteur clarino.print
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